Erklärung der Landesdelegiertenkonferenz der Berliner VVN-BdA (28.11.2015)

17. Dezember 2015

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Rassist/-innen und Nazis entgegentreten – Refugees welcome!
Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!

 

Eine neue extrem rechte Massenbewegung in Deutschland

Unsere hochbetagten Mitglieder fühlen sich heute an den anschwellenden braunen Mob aus der Vorzeit der Naziherrschaft erinnert. 2014 und 2015 hat sich in Deutschland ein gewaltiges nationalistisches, rassistisches und antidemokratisches Protestpotential formiert, die größte völkisch-rassistische Massenbewegung seit 1945. Das zeigt sich in den Wahlerfolgen und Kundgebungen der AfD, in den Demonstrationen der PEGIDA und ihren Ablegern sowie bei den rassistischen Protesten gegen die Unterbringung geflüchteter Menschen, die oft unter Anleitung der Nazi-Partei NPD organisiert und durchgeführt werden. Die rassistische „Nein-zum-Heim“-Kampagne der NPD startete in Hellersdorf. Sie wurde maßgeblich von Berlin aus initiiert und wurde zu einer bundesweiten Kampagne mit „Vorbildfunktion“. Die extrem rechte Bewegung tritt als Revolte des „Volkes“ gegen die herrschende Politik und gegen die bürgerlichen Massenmedien auf.

Die sich selbst als „das Volk“ darstellen, erklären ganze Bevölkerungs- und Berufsgruppen zu ihren Feinden. Ihr Hass richtet sich gegen Geflüchtete und alle, die mit diesen solidarisch sind, seien es linke, antifaschistische, liberale, christliche oder auch einfach mitfühlende und hilfsbereite Menschen. Er trifft alle, die der extrem rechten Formierung kritisch gegenüber-stehen und mit dem Streben nach einer vielfältigen und offenen Gesellschaft identifiziert werden. Sie bekämpfen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und hetzen gegen Schwule und Lesben. Mit Schmähungen, Drohungen und Angriffen werden Menschen in ihrer sozialen Existenz und körperlichen Unversehrtheit gefährdet und zerstört.

Unsere größte Sorge gilt der aktuellen Welle der Gewalt gegen Geflüchtete und deren Unterkünfte, wie es sie seit den frühen 90er-Jahren nicht mehr gab. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis bei brutalen Angriffen mit Brandsätzen, Schlagwerkzeugen und Messern Menschen zu Tode kommen. Gewalttaten und Bedrohungen treffen vermehrt auch Journalist/-innen und politische Repräsentant/-innen.

Zur Berliner Situation

Zwar gibt es in Berlin noch keine extrem rechte Massenbewegung wie in Teilen Sachsens und Thüringens. Ansätze dazu sind jedoch vorhanden. In mehreren Stadtteilen gehen rassistische Anwohner/-innen gemeinsam mit organisierten Neonazis gegen die Unterbringung von Asylsuchenden vor. Es kam bereits zu einer Vielzahl gewaltsamer Angriffe. Außer den vorhandenen rechtsextremen Strukturen wie der NPD sind Neonazis wieder aktiv geworden. Neue extrem rechte Zusammenschlüsse haben sich gebildet. Das rechtsextreme Potential zeigt sich besonders in der Entwicklung der AfD: Diese Partei hat in allen Bezirken Ortsverbände gebildet und bereitet sich auf den Einzug in alle Bezirksverordnetenversammlungen und in das Abgeordnetenhaus bei den Wahlen im September 2016 vor. Auch mit Kundgebungen und Demonstrationen versucht die AfD, in den öffentlichen Raum vorzudringen.

Seit 2014 ist die Anzahl extrem rechter Veranstaltungen unter freiem Himmel in Berlin sprunghaft angestiegen. Die rassistische Mobilisierung richtete sich vor allem gegen die Unterbringung von Geflüchteten. Hinzu kommen die seit Dezember 2014 jeden Montag stattfindenden „BÄRGIDA“-Umzüge. Problematisch waren die 2014 stattfindenden „Montagsmahnwachen für den Frieden“, die vielfach ein Podium für nationalistische und antisemitische Positionen sowie für bekennende Rassist/-innen und Neonazis boten.

Nur selten gelang es, derartige Aufzüge wirksam zu stören oder zu behindern; oft gab es nicht einmal wahrnehmbare antifaschistische Proteste. Überdies wurden die Aufmärsche von der Polizei massiv geschützt und vielfach bis zuletzt verheimlicht. So konnte „BÄRGIDA“ vor der Gedenkstätte Deutscher Widerstand oder dem Deportationsdenkmal auf der Putlitzbücke demonstrieren oder die NPD vor dem LAGeSO, während antifaschistischer Protest ausgesperrt wurde. In Berlin wird aktuell ein Kampf um die Vormacht auf der Straße zwischen dem extrem rechten und dem antifaschistischen Lager ausgetragen, und die Antifaschist/-innen laufen Gefahr, diesen Kampf zu verlieren.

Gegen die Festung Europa und für ein solidarisches Miteinander!

Nazis, Rechtspopulist/-innen und Rassist/-innen lehnen zwar vorgeblich Regierungen, Parteien, „die da oben“ ab und nehmen mit vermeintlich konsequenteren Forderungen Einfluss auf die Flüchtlingspolitik in Europa. Doch Flüchtlinge sind gerade in der EU einer brutalen Politik der Abwehr und Entrechtung ausgesetzt. Rassismus und nationaler Chauvinismus sind kein „Privileg“ extrem rechter Bewegungen, sie finden sich überall in der Mitte der Gesellschaft. Das gerade nach den jüngsten Terroranschlägen in Paris zu Recht propagierte „Liberté, Égalité, Fraternité“ gilt für Geflüchtete nicht. Es wird ihnen durch Gesetze, neue Zäune, Regierungen, Verwaltungen und Politiker/-innen immer wieder verwehrt.
Wir sind empört, dass Nachfahren von in der NS-Zeit verfolgten und ermordeten Sinti und Roma nach wie vor in Deutschland Ablehnung und Hass ausgesetzt und darüber hinaus von der Abschiebung in ihre angeblich „sicheren Herkunftsländer“ bedroht sind. Deutschland muss seiner historischen Verantwortung gegenüber den Sinti und Roma nachkommen und ihnen sofort ein Bleiberecht ermöglichen.
Auch und gerade für Flüchtlinge aus Afghanistan gibt es keine „sicheren Zonen“ im Kriegsgebiet – sie sollen trotzdem abgeschoben werden.

Wir freuen uns, dass die Flüchtlinge nicht nur die Barrieren der Festung Europa überrennen, sondern auch immer lauter die gleichberechtigte Teilhabe an einem Leben in Frieden und Freiheit einfordern, für das auch wir immer wieder eintreten.

Wir leisten Widerstand! Das Problem heißt Rassismus!

Doch es gibt in dieser Stadt auch zahlreiche gesellschaftliche Initiativen, die sich der rassistischen und nationalistischen Formierung entgegenstemmen. Besonders durch die breite Auseinandersetzung um die Themen Flucht, Asyl und Einwanderung sind vielerorts neue Gruppen und Netzwerke entstanden. In der praktischen Solidarität mit Geflüchteten, in der Konfrontation mit deutschen Behörden und mit rassistischen Anfeindungen vollziehen sich teilweise beachtliche Prozesse der Bewusstseinsbildung.

Der Platz der Berliner VVN-BdA ist an der Seite all derer, die sich in Berlin gegen Rassismus, Nationalismus, Antiziganismus und Antisemitismus sowie für ein solidarisches Miteinander einsetzen. Für uns gilt es, in den täglichen Auseinandersetzungen Präsenz und Flagge zu zeigen und, wo immer möglich, unsere praktische Unterstützung anzubieten. So können wir auch neue Menschen für uns interessieren und gewinnen.

Erinnerung ist Prävention

In den heutigen politischen Auseinandersetzungen lassen wir uns von dem Vermächtnis der Verfolgten und Widerstandskämpfer/-innen „Nie wieder Krieg und Faschismus“ leiten, indem wir die geschichtlichen Erfahrungen und Lehren auf die heutige Situation beziehen. Gerade angesichts des aktuellen Aufschwungs der extremen Rechten in Deutschland ist es nötig, unsere Arbeit des Erinnerns und Gedenkens an Verfolgung, Widerstand und Exil in all ihren vielfältigen Formen fortzuführen und zu intensivieren. Erinnerung ist Prävention. Das Bewusstsein von der Geschichte ist einer der wichtigsten Dämme gegen die neue Welle des Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus.

Unser antifaschistischer Kampf für eine „neue Welt des Friedens und der Freiheit“, wie sie im Schwur der befreiten Häftlinge des KZ Buchenwald 1945 gefordert wurde, ist unteilbar. Wir wenden uns entschieden gegen die gefährliche Zuspitzung der Weltlage durch Kriege im Nahen Osten, Europa und anderen Teilen der Welt. Wir verurteilen jeden Terrorakt, jeden Angriff auf die Demokratie und die Menschenrechte, jeden Ausdruck von Antisemitismus, von Frauenunterdrückung oder von Hass auf sexuelle Minderheiten, und zwar auch dann, wenn sie mit dem Islam oder einer anderen Religion gerechtfertigt werden. Wir wenden uns gegen alle Versuche, mit dem Verweis auf den dschihadistischen Terror Stimmung gegen Geflüchtete und Muslime zu machen.

Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie sich für eine Beendigung von Kriegen und für eine friedliche Lösung von Konflikten einsetzt. Wir lehnen die immer stärkere Militarisierung der deutschen Außenpolitik ab. Für uns ist Krieg kein Mittel der Konfliktlösung.

Wir fordern eine grundsätzliche Abkehr von der Politik der Abschottung.

Wir fordern die menschenwürdige Aufnahme der Geflüchteten.

Wir fordern das bedingungslose Bleiberecht für Roma und Sinti sowie für Geflüchtete aus Afghanistan.

Wir fordern den Senator für Gesundheit und Soziales auf, die politische Verantwortung für die seit Monaten für die Geflüchteten unhaltbaren Zustände beim LAGeSo in der Turmstraße und in zahlreichen Notunterkünften in Berlin zu übernehmen, diese sofort abzustellen oder zurückzutreten!

Wir fordern das Verbot der NPD und aller anderen Nazistrukturen und -umtriebe.

Nehmen wir den Nazis und Rassist/-innen die Straße – Faschismus und Rassismus sind keine Meinung, sondern ein Verbrechen!

Erklärung der Landesdelegiertenkonferenz der Berliner VVN-BdA (28.11.2015)