Antifa Jour fixe: | Dezember 2019 | Der berühmteste Mann der Welt –Charlie Chaplin

13. Dezember 2019

Montag, 16.Dezember  2019 |  18:30  Uhr | Café Sibylle | Karl-Marx-Allee 72, 10243 Berlin

Der berühmteste Mann der Welt – Charlie Chaplin

Kollektiv-Ehrung der AG Jour Fixe am 16. Dezember

„Kein Parlamentarier ist der berühmteste Mann der Welt und kein Politiker, kein Erfinder ist es, kein Tenor, kein Flugzeugführer. Der berühmteste Mensch ist zweifellos Herr Charlie Chaplin,über den alle einmal gelacht haben“, so sagt das Kurt Tucholsky.
Wir geben ihm recht und nutzen dieses 130. Jahr nach seiner Geburt zu einer kollektiven Würdigung.
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Brief an Olaf Scholz von GÜNTER PAPPENHEIM, ehemaliger Buchenwald – Häftling Nummer 22514, Vorsitzender Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e. V. anlässlich der Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA

9. Dezember 2019

Ähnliches FotoGÜNTER PAPPENHEIM

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Zeuthen, 24. November 2019

Sehr geehrter Herr Minister Scholz,

mein Vater, Ludwig Pappenheim, war in Schmalkalden einer der Mitbegründer der SPD, also Sozialdemokrat wie Sie. Er genoss das Vertrauen der Menschen, weil er für die Durchsetzung ihrer Interessen eintrat.Im Frühjahr 1932 wurden in unserem Wohnhaus die Fensterscheiben eingeschlagen und öffentlich wurde zum Mord aufgerufen: »Schlagt die Judensau tot!«

Am 25. März 1933 verhaftete man den Vater, ohne dass es einen Haftbefehl gab, unter fadenscheinigen Gründen und ordnete »Schutzhaft« an, trotz seiner Immunität als Abgeordneter des Provinziallandtages. Vom Gefängnis Suhl wurde er ins Gefängnis Kassel verlegt und von dort musste er in das Konzentrationslager Breitenau, von dem aus er in das KZ Neusustrum  überstellt wurde. Nach Misshandlungen und Folter brachten ihn die Hitlerfaschisten am 4. Januar 1934 bestialisch um. Meiner Mutter, sie war seit 1925 aktive Sozialdemokratin, wurde es verwehrt, ihren Mann, unseren Vater, in Schmalkladen zu bestatten. Sie war fortan mit vier Kindern auf sich allein gestellt.

Ich wurde am 14. Juli 1943 nach einer Denunziation in Schmalkalden von der Gestapo verhaftet  und ins Gefängnis Suhl gebracht, wo mich Gestapo-Beamte fünf Tage misshandelten. Von Suhl brachten sie mich in das Arbeitslager Am Gleichberg und nach kurzer Zeit war ich Häftling Nummer 22514 im Konzentrationslager Buchenwald. Am 19. April 1945 gehörte ich zu den 21.000 Überlebenden dieses Lagers und leistete an der Seite meines sozialdemokratischen Kameraden Hermann Brill den »Schwur von Buchenwald«. Dessen Kernaussage»Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.« wurde mir ebenso wie den meisten meiner Kameraden zur Lebensmaxime.

In diesem Sinne beteiligten sich meine Mutter in Funktionen und ich nach 1945 als Mitglieder der SPD aktiv am demokratischen Neuaufbau in Schmalkalden. Unser Ratgeber war Hermann Brill.Wir sahen in einer vereinten Arbeiterpartei die Möglichkeit, Voraussetzungen zu schaffen, dass es nie wieder faschistischen Terror geben wird.Viele von den Hitlerfaschisten Verfolgte organisierten sich 1947 in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN).

Dieser größten deutschen überparteilichen Verfolgtenorganisation, heute Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, wird fast  fünfundsiebzig Jahre nach dem Schwur von Buchenwald vom Finanzamt für Körperschaften I des Landes Berlin die Gemeinnützigkeit entzogen, verbunden mit Steuernachforderungen in fünfstelliger Höhe und weiteren Folgerungen

Lässt sich vorstellen, wie ich mich als Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos schäme, meinen Kameraden sagen zu müssen, dass wir in Deutschland, das sich rühmt, ein freiheitlich demokratischer Rechtsstaat zu sein, regierungsamtlich wieder Verfolgte sind

Soll ich meinen Kameraden erklären müssen, dass die vom AfD – Funktionär, dem Faschisten Höcke geforderte »geschichtspolitische Wende um 180 Grad« jetzt staatlicherseits betrieben wird, indem mit fadenscheinigsten Begründungen der Verfolgtenorganisation die materielle Handlungsfähigkeit entzogen wird? Muss ich meinen französischen Kameraden, die den Präsidenten der Republik Frankreich veranlassten, mich als Antifaschisten zum »Kommandeur der Ehrenlegion« zu ernennen, jetzt erklären, dass in Deutschland Antifaschismus nicht gemeinnützig, weil politisch ist?

Es ist eine Schande, dass mit der Zerschlagung dessen, was wir 1945 als antifaschistischen Konsens verstanden, gewartet wurde, bis fast keine Zeugen faschistischer Verbrechen mehr vorhanden sind, um ihre protestierende Stimme erheben zu können.

Und ich muss feststellen, dass wohlklingende Forderungen in deutschen Politikerreden, die offen sichtbare Rechtsentwicklung zurückdrängen zu müssen, nicht glaubhaft sind, wenn zugleich zivilgesellschaftliche Kräfte, wie sie in der VVN-BdA, bei attac oder campact agieren, in finanzielle Fesseln gelegt werden.

Es kann Ihnen, Herr Minister, nicht verborgen geblieben sein, wie immer dreister, frecher, anmaßender, gewaltsamer und öffentlichkeitswirksamer rechtsextremistische Kräfte handeln! Unter diesen Bedingungen zielgerichtet Gegenbewegungen auszuschalten, ist nicht nur grob fahrlässig, sondern höchst gefährlich.

Ich erwarte von Ihnen und weiß mich in Übereinstimmung mit meinen Kameradinnen und Kameraden, mit sehr vielen Freundinnen und Freunden, das Sie sich kraft Ihres Amtes unverzüglich für eine Aufhebung der strangulierenden Maßnahmen einsetzen.

 

      LAGERARBEITSGEMEINSCHAFT BUCHENWALD-DORA

OFFENER BRIEF AN DIE DELEGIERTEN

DES ORDENTLICHEN BUNDSPARTEITAGS DER SPD IN BERLIN

  1. BIS 8. DEZEMBER 2019

Geehrte Delegierte des Ordentlichen Bundesparteitages der SPD,

als Mitglieder der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e. V. grüßen wir Sie.

Vorsitzender unserer Lagerarbeitsgemeinschaft ist Günter Pappenheim, ehemaliger Buchenwald – Häftling Nummer 22514. Er ist zugleich Erster Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos und Mitglied des Ehrenpräsidiums der Fédération Internationale des Résistants.

Sein Vater, Ludwig Pappenheim, war Mitbegründer der SPD in Schmalkalden. Dieser aufrechte Sozialdemokrat gehörte zu den ersten Opfern der Nazis, sie ermordeten ihn im Januar 1934 im KZ Neusustrum.

Mitglieder der Lagerarbeitsgemeinschaft sind heute Kinder, Enkel, Angehörige ehemaliger Häftlinge sowie Menschen, denen es ein Bedürfnis ist, das Vermächtnis des antifaschistischen Widerstands zu bewahren.

Die Kernaussage des Schwurs von Buchenwald, geleistet von 21.000 Überlebenden am 19. April 1945,

»Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.«

war für viele der ehemaligen Häftlinge zur Lebensmaxime geworden. Wir sehen heute, gerade unter den Bedingungen immer sichtbarer werdender neonazistischer Gefahren, zu diesen Aussagen keine vernünftige Alternative.

Dabei befinden wir uns in völliger Übereinstimmung mit den Freundinnen und Freunden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.

Dass dieser bedeutendsten Verfolgtenorganisation durch das Finanzamt für Körperschaften I des Landes Berlin die Gemeinnützigkeit entzogen und Steuernachforderungen erhoben wurden, was einem nicht ausgesprochenen Verbot gleicht, empört uns zutiefst. Wir fühlen uns in keiner Weise »linksextremistisch beeinflusst«, wie in Verfassungsschutzberichten des Landes Bayern wahrheitswidrig behauptet und als Begründung für diese Entscheidung vom Finanzamt für Körperschaften I des Landes Berlin kopiert wird.

Insbesondere auch deshalb, weil der 2010 durch den Parteivorstand der SPD aufgehobene Nichtvereinbarkeitsbeschluss von 1948  es SPD-Mitgliedern gestattet, Mitglied der VVN-BdA zu werden.

Wir wissen, dass auf Ihrem Parteitag bedeutsame politische Entscheidungen zu treffen sind und dass Ihre Losung IN DIE NEUE ZEIT sehr hohe Ansprüche stellt.

Ginge von Ihrem Parteitag ein wirksamer Impuls aus, der darauf gerichtet ist, das durch den Entzug der Gemeinnützigkeit für die VVN-BdA entstandene Unrecht unverzüglich zu korrigieren, könnte das als solidarisches Signal für die Zivilgesellschaft verstanden werden, die Anstrengungen zur Zurückdrängung von Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und rechter Gewalt zu verstärken.

Ihnen und dem Parteitag viel Erfolg wünschend verbleiben wir

mit freundlichen Grüßen

Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e.V.

Berlin, am 6. Dezember 2019

LAGERARBEITSGEMEINSCHAFT BUCHENWALD-DORA e. V.

http://lag.vvn-bda-ffo.de

Bankverbindung: Berliner Volksbank · IBAN: DE31 100900007219906000 *  SWIFT-BIC: BEVODEBB

c/o VVN-BdA Bundesbüro * Magdalenenstraße 19 * 10365 Berlin

1.000 neue Mitglieder für die VVN-BdA

9. Dezember 2019

Solidarität mit der VVN-BdA geht weiter

So hatten es sich die politisch Verantwortlichen sicherlich nicht vorgestellt, als die Finanzbehörden glaubten, der VVN-BdA Bundesvereinigung die Gemeinnützigkeit absprechen zu können.

Lichtaktion am Bundesfinanzministerium

Bis heute erleben wir eine Welle der Solidarität, die alle bisherigen Vorstellungen gesprengt hat. Die Zahl der Unterstützer von Online-Petitionen für die VVN-BdA wächst täglich. Wann haben wir es schon einmal erleben dürfen, dass u.a. SPD-Untergliederungen, Landevorstände der Grünen, die LINKE von der Bundesebene bis zu zahlreichen Kreisorganisationen, Gewerkschaften bis hin zu Mitgliedern in Bundesvorständen, Naturfreunde, die verschiedenen Initiativen und Gruppen der Friedensbewegung, Vertreter von jüdischen Gemeinden und autonomer Antifa-Initiativen sich gleichermaßen dafür eingesetzt haben, dass Antifaschismus gemeinnützig bleibt? Beeindruckend auch die Erklärung des Internationalen Auschwitzkomitees, die Stellungnahmen des Gedenkstättenforums und der Lagerarbeitsgemeinschaften sowie der Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten (AVS). Diese Reaktionen werden sicherlich Auswirkungen haben auf den zukünftigen gesellschaftlichen Umgang mit antifaschistischen Initiativen.

Mittlerweile hat die Solidaritätsbewegung auch die internationale Ebene erreicht. Am vergangenen Wochenende hat der XVIII. FIR-Kongress in Italien mit deutlichen Worten diesen Angriff auf die VVN-BdA verurteilt und die Mitgliedsorganisationen aufgerufen, in Briefen an die deutschen Botschaften ebenfalls gegen diese Einschränkung der ältesten und größten nicht parteigebundenen antifaschistischen Organisation in Deutschland zu protestieren.

Selbst Medien, die uns in früheren Zeiten ignoriert oder eher kritisch behandelt haben, sind in dieser Frage so deutlich auf unserer Seite, dass es keine Missverständnisse gibt.

Die beste Antwort haben aber in den vergangenen drei Wochen über 1000 Menschen gegeben, die als Reaktion auf den Angriff gegen die VVN-BdA selber einen Mitgliedsantrag gestellt haben. Manche begründen ihren Schritt damit, dass sie durch ihren Beitrag die VVN-stärken wollen. Andere erklärten, dass sie das schon länger überlegt hätten, insbesondere aber nach den erschreckenden Wahlergebnissen für die AfD in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Jetzt wollten sie ein deutliches Signal setzen, damit Antifaschismus in unserem Land gestärkt wird und diese Gesellschaft eine antirassistische, demokratische und soziale Perspektive behalte.

Was auch immer der Grund für einen Eintritt ist, jeder Zugang zum aktiven Handeln in den Reihen der antifaschistischen Organisation ist willkommen.

Unsere Losung bleibt:

  • Überall rassistischen und extrem-rechten Provokationen aktiv entgegentreten, wie es die 20.000 Menschen in Braunschweig beim AfD-Bundesparteitag getan haben.
  • Solidarität mit der VVN-BdA heißt auch Spenden und finanzielle Hilfen für die antifaschistische Arbeit.  
  • Die antifaschistische Organisation stärken! Werdet Mitglied in der VVN-BdA!

Protest-Brief von Marian Kalwary anlässlich der Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA

6. Dezember 2019

Protest-Brief von Marian Kalwary

Vorstandsvorsitzender der Vereinigung der Jüdischen Kombattantinnen und Kombattanten und Geschädigten des Zweiten Weltkrieges

Stellvertretender Vorsitzender des Verbandes der „Kinder des Holocaust“ in Polen

Mitglied des Gesellschaftlichen Beirates am Museum der Geschichte der polnischen Juden POLIN

Foto MichalPawlik

Warschau, den 3.12.2019

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel,

Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister Olaf Scholz,

Sehr geehrter Herr Senator Dr. Matthias Kollatz,

ich wende mich an Sie am Vorabend Ihres ersten Besuches in der Gedenkstätte des deutschen nazistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 6. Dezember 2019, als Überlebender der Shoah und zugleich Träger des Bundesverdienstkreuzes für besondere Verdienste für das polnisch-jüdisch-deutsche Gemeinwohl (2017), in einer dringenden Angelegenheit betreffend der Unterstützung der Bildungs- und Erinnerungsarbeit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten VVN-BdA e.V. und der Verwirklichung ihrer satzungsmäßigen Tätigkeit.

Ich wurde 1930 in Warschau geboren und war bereits als Kind gezwungen, um zu überleben, in den von den Deutschen errichteten Ghettos und auch in der Zeit des Versteckens zu arbeiten, in ständiger Angst vor der Ausrottung in einem der deutschen Vernichtungslager. Im Oktober 1940 wurde ich und meine Familie gezwungen in das Warschauer Ghetto zu ziehen. Nachdem mir während der gewaltsamen Auflösung des Warschauer Ghettos die Flucht gelang, fand ich mich im Ghetto Wołomin wieder.

In dem deutschen Vernichtungslager Treblinka und eben hier im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurde meine vielköpfige Familie durch deutsche Faschisten verbrecherisch ermordet.

Niemand, der die Shoah nicht erfahren hat, kann sich vorstellen, was uns Juden während der deutschen Besatzung Polens und der deutschen Verfolgung wiederfahren ist. In den Ghettos breiteten sich Krankheiten aus, insbesondere Fleckfieber. Neben dem Hunger war es die häufigste Todesursache. Die Bilder haben sich so tief in mein Gedächtnis eingebrannt, dass ich sie mit all den tragischen Details sehen kann, wenn ich meine Augen schließe. Der erschütterndste Anblick waren die mit Zeitungen oder anderen Papieren bedeckten Leichen. Die Leichenskelette, an denen fast gleichgültig gemarterte Menschenmengen durchdrängelten. Hunderte, vielleicht sogar Tausende, Bettler, die tragisch ausgehungert waren. Im Grunde stieß die ganze Straße einen flehenden Schrei aus: „a sztikełe brot, a sztikłe brot, gib a sztikełe brot“ sowie „oc-rachmunes“. Bis heute höre ich in meinen Ohren ihre Klagen. Alle paar Meter bettelte ein Kind, im Grunde genommen das Skelett eines Kindes. Eines Kindes, dem von seinem Gesichtsausdruck allein große Augen erhalten blieben, die leblos vor sich hin starrten vor Entsetzen und Schmerz. Und jene Dutzenden von Menschen, die auf der Straße lagen, mit von Hunger geschwollenen Füßen. Die Massenhaftigkeit davon war erschreckend. Ich erinnere mich an ein armes kleines Mädchen, vielleicht 6 oder 7 Jahre alt, welches im Winter auf der auf der Treppe eines geschlossenen Ladens saß, die auf einem Stückchen Papier ein paar Schuheinlagen ausbreitete. Ich kann ihr singendes, wehmütiges Stimmlein bis heute hören: „wärmende Einlagen für Männer- und Frauen“, und so immer wieder fort. Nach einigen Tagen, war sie nicht mehr dort …

In ganz Europa, insbesondere in Deutschland und Polen, erleben wir die schreckliche Wiedergeburt des Antisemitismus und neonazistischer Gruppen. Die Attentate der neofaschistischen NSU oder der jüngste Angriff auf die Synagoge in Halle führen mich zur nachdenklichen Feststellung über den Mangel an ehrlicher Bildung über die Vergangenheit. Die Ignoranz dieser gemeinsamen Bedrohungen für alle Demokraten hat dazu geführt, dass die heutige Generation deutscher Jugendlicher vielleicht schon bald die Geschichte des Großen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg als Anlass nimmt, um auf sie mit patriotischem Stolz zurückzublicken.

Leider wird das Bild dieser negativen Veränderungen auch durch die Entscheidung des Finanzamtes für Körperschaften I des Landes Berlin ergänzt, welches am 4. November der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) e.V. den Status einer gemeinnützigen Körperschaft entzogen hat. In deren Folge wird die Weiterführung der Anstrengungen und die Existenz der VVN-BdA, der ältesten antifaschistischen Organisation in der Bundesrepublik Deutschland, ernsthaft gefährdet.

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) e.V. wurde 1947 von Überlebenden der Konzentrationslager und NS-Gefängnisse gegründet und ist die größte überparteiliche und konfessionslose Organisation von Antifaschisten in Deutschland, die seit Jahren die Interessen der von Nazis Verfolgten und der Widerstandskämpfer sowie ihrer Nachkommen verteidigt, sich für Frieden und Völkerverständigung einsetzt und seit Jahrzehnten gegen große gesellschaftliche Widerstände dafür eintritt, dass die Bewahrung der Erinnerung an die Verbrechen des deutschen Faschismus nicht in Vergessenheit gerät.

Die Aberkennung der VVN-BdA des Status der Gemeinnützigkeit ist für mich umso schmerzhafter als diese Vereinigung und ihre Mitglieder, seit Jahren, jüdische Überlebende in Polen, die vor der planmäßigen Vernichtung gerettet wurde, die ehemaligen Beschäftigten in von Deutschen eingerichteten Ghettos, bei den Bemühungen, um die Auszahlung der ihnen aus dem gesetzlichen Sozialversicherungssystem zustehenden Ghetto-Renten, von denen sie ausgeschlossen waren, unterstützten.

Dank des Engagement der VVN-BdA und ihrer Unterstützung bei der Gründung der Initiative „Ghetto-Renten Gerechtigkeit Jetzt! hat sich im Jahr 2014 der Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestag dieser Angelegenheit angenommen.

Die Berliner Landesvereinigung der VVN-BdA hat darüber hinaus ein Rechtsgutachten angefertigt betreffend der schmerzhaften Angelegenheit, des Ausschlusses von Ghetto-Renten jener Personen, die unter 14 Jahren waren und noch als Kinder in Ghettos beschäftigt wurden (Ausschussdrucksache Nr. 18(11)818). Dank des Engagements der VVN-BdA konnte am 5. Dezember 2014 in Warschau ein Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zum Export besonderer Leistungen für berechtigte Personen, die im Hoheitsgebiet der Republik Polen wohnhaft sind, unterzeichnet werden, welches die Zahlbarmachung von Renten für eine Beschäftigung in Ghettos nach Polen ermöglichte.

Darüber hinaus leistete die VVN-BdA einen besonderen Beitrag zur Änderung der Anerkennungsrichtlinie des Bundesfinanzministeriums (Richtlinie der Bundesregierung über eine Anerkennungsleistung an Verfolgte für Arbeit in einem Ghetto, die keine Zwangsarbeit war), die im Sommer 2017 die Auszahlung einer Entschädigung an Personen ermöglichte, die nur deshalb keinen Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhielten, weil sie aufgrund ihres Alters während der Beschäftigung im Ghetto, als Kinder, die allgemeine Wartezeit nicht erfüllen konnten.

Seit vielen Jahren setzt sich die VVN-BdA dafür ein, dass die Erinnerung an das gemeinsame tragische Schicksal der von Nazi-Deutschland verfolgten Juden und Roma nicht ausgelöscht wird. Ich freue mich deshalb, dass ich auf Einladung der Berliner Landesvereinigung der VVN-BdA am 9. November 2018 an der feierlichen Gedenkstunde des Deutschen Bundestages zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht teilnehmen und anschließend an der Gedenkveranstaltung am Denkmal der 1938 von Nazis geschändeten Synagoge in der Levetzowstraße in Berlin und dem seit Jahren von der VVN-BdA organisierten Gedenkmarsch, teilnehmen konnte.

Ich bin beunruhigt und bestürzt darüber, dass die VVN-BdA seines Gemeinnützigkeitsstatus beraubt wurde, die für uns, Überlebende der planmäßigen Vernichtung der Juden und ihre Nachkommen, seit Jahren, ein wichtiger Partner ist in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Demokraten in Europa, bei Bildungsmaßnahmen zur Bewahrung der Erinnerung an NS-Verbrechen, ein Verbündeter im Kampf gegen Neonazismus, Antiziganismus und Antisemitismus und einen wichtigen Partner in den Bemühungen zur Übernahme der Verantwortung für die von der deutschen Gesellschaft begangenen Nazi-Verbrechen darstellt.

Ich wende mich deshalb an Sie mit der eindringlichen Bitte, die Entscheidung des Finanzamtes für Körperschaften I des Landes Berlin betreffend der Aberkennung des Gemeinnützigkeitsstatus bei der VVN-BdA erneut zu prüfen und diese Vereinigung in ihrer wichtigen Arbeit zur Bewahrung der Erinnerung an die Shoah und den Holocaust an den Sinti und Roma, bei den Bemühungen, um die Verteidigung demokratischer Werte, der Förderung der Völkerverständigung und des Gemeinwohls zu unterstützen.

Mit Hochachtung und der Hoffnung auf eine schnelle Antwort,

Marian Kalwary

Vorstandsvorsitzender der Vereinigung der Jüdischen Kombattantinnen und Kombattanten und Geschädigten des Zweiten Weltkrieges

Stellvertretender Vorsitzender des Verbandes der „Kinder des Holocaust“ in Polen

Mitglied des Gesellschaftlichen Beirates am Museum der Geschichte der polnischen Juden POLIN

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