Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel,
Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister Olaf Scholz,
Sehr geehrter Herr Senator Dr. Matthias Kollatz,
ich wende mich an Sie am Vorabend Ihres ersten Besuchs der Gedenkstätte des deutschen nazistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 6. Dezember 2019.
Am 4. November hat das Finanzamt für Körperschaften I des Landes Berlin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) e.V. den Status einer gemeinnützigen Körperschaften entzogen, wodurch die Weiterführung der Anstrengungen und die Existenz der VVN-BdA, der ältesten antifaschistischen Organisation in der Bundesrepublik Deutschland, ernsthaft gefährdet ist.
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) e.V. wurde 1947 von Überlebenden der Konzentrationslager und NS-Gefängnisse gegründet und ist die größte überparteiliche und konfessionslose Organisation von Antifaschisten in Deutschland, die seit Jahren die Interessen der von Nazis Verfolgten und der Widerstandskämpfer sowie ihrer Nachkommen verteidigt, sich für Frieden und Völkerverständigung einsetzt und seit Jahrzehnten gegen große gesellschaftliche Widerstände dafür eintritt, dass die Bewahrung der Erinnerung an die Verbrechen des deutschen Faschismus nicht in Vergessenheit gerät.
Die Aberkennung der VVN-BdA des Status der Gemeinnützigkeit ist für uns umso schmerzhafter als die Vereinigung und seine Mitglieder seit Jahren die Roma in Polen im Kampf gegen die Diskriminierung von Roma und Juden, die ehemaligen Beschäftigten in von Deutschen eingerichteten Ghettos, bei den Bemühungen, um die Auszahlung der ihnen aus dem gesetzlichen Sozialversicherungssystem zustehenden Ghetto-Renten, von denen sie ausgeschlossen waren, unterstützten.
Dank des Engagements der VVN-BdA und ihrer Unterstützung bei der Gründung der Initiative „Ghetto-Renten Gerechtigkeit Jetzt! konnten wir im Jahr 2014 an einem Berichterstattergespräch des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Deutschen Bundestag teilnehmen und den Abgeordneten unseren Standpunkt betreffend des Ausschlusses der Roma und Juden mit Wohnsitz in Polen von den ihnen zustehenden Leistungen darlegen. Die Berliner Landesvereinigung der VVN-BdA hat vor diesem Hintergrund darüber hinaus ein Rechtsgutachten über die schmerzhafte Angelegenheit betreffend, des Ausschlusses von Personen unter 14 Jahren von den Ghetto-Renten, die noch als Kinder in Ghettos beschäftigt wurden (Ausschussdrucksache Nr. 18(11)818). Dank des Engagements der VVN-BdA konnte am 5. Dezember 2014 in Warschau ein Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zum Export besonderer Leistungen für berechtigte Personen, die im Hoheitsgebiet der Republik Polen wohnhaft sind unterzeichnet werden, welches die Zahlbarmachung von Renten für eine Beschäftigung in Ghettos nach Polen ermöglichte.
Darüber hinaus leistete die VVN-BdA einen besonderen Beitrag zur Änderung der Anerkennungsrichtlinie des Bundesfinanzministeriums (Richtlinie der Bundesregierung über eine Anerkennungsleistung an Verfolgte für Arbeit in einem Ghetto, die keine Zwangsarbeit war), die im Sommer 2017 die Auszahlung einer Entschädigung an Personen ermöglichte, die nur deshalb keinen Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhielten, weil sie aufgrund ihres Alters während der Beschäftigung im Ghetto, als Kinder, die allgemeine Wartezeit nicht erfüllen konnten.
Seit vielen Jahren setzt sich die VVN-BdA dafür ein, dass die Erinnerung an das gemeinsame tragische Schicksal der von Nazi-Deutschland verfolgten Roma und Juden nicht ausgelöscht wird. Wir freuen uns deshalb, dass wir auf Einladung der Berliner Landesvereinigung der VVN-BdA am 9. November 2018 an der feierlichen Gedenkstunde des Deutschen Bundestages zum Jahrestag der Reichspogromnacht teilnehmen und anschließend an der Gedenkveranstaltung am Denkmal der 1938 von Nazis geschändeten Synagoge in der Levetzowstraße in Berlin und dem seit Jahren von der VVN-BdA organisierten Gedenkmarsch, teilnehmen konnten.
Wir sind besorgt darüber, dass die VVN-BdA seines Gemeinnützigkeitsstatus beraubt wurde, die für uns, Überlebende der planmäßigen Vernichtung der Roma und ihre Nachkommen, seit Jahren, ein wichtiger Partner ist in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Demokraten in Europa, bei Bildungsmaßnahmen zur Bewahrung der Erinnerung an NS-Verbrechen, ein Verbündeter im Kampf gegen Neonazismus, Antiziganismus und Antisemitismus und einen wichtigen Partner in den Bemühungen zur Übernahme der Verantwortung für die von der deutschen Gesellschaft begangenen Nazi-Verbrechen darstellt.
Wir bitten Sie daher eindringlich, die Entscheidung des Finanzamtes für Körperschaften I des Landes Berlin betreffend der Aberkennung des Gemeinnützigkeitsstatus bei der VVN-BdA erneut zu prüfen und diese Vereinigung in seiner wichtigen Arbeit zur Bewahrung der Erinnerung an die Shoah und den Holocaust an den Sinti und Roma, bei den Bemühungen um die Verteidigung demokratischer Werte, der Förderung der Völkerverständigung und des Gemeinwohls zu unterstützen.
Mit Hochachtung und der Hoffnung auf eine schnelle Antwort,
Roman Kwiatkowski
Präsident der Vereinigung der Roma in Polen