Drei Schicksalspfähle sind zu mager
13. Januar 2015
Wir dokumentieren: Pressemitteilung 12.01.2015 – Anne Allex
Drei Schicksalspfähle sind zu mager
Zur Einweihung des Gedenkortes Rummelsburg am 12.01.2015 mit drei Stelen erklären der Arbeitskreis „Marginalisierte – gestern und heute!“ und der Verein extramural e.V. – Verein für internationale Bildung gegen soziale Ausgrenzung:
Wenn heute an die Opfer sozialer Ausgrenzung und politischer Verfolgung in Rummelsburg unter verschiedenen Staatsformen von 1879 bis 1990 erinnert wird, ist dies eine exemplarische Geschichtsklitterung: Der Umgang mit einkommensarmen, kranken bzw. ausgegrenzten Menschen in der Kaiserzeit, der Weimarer Republik und vor allem im deutschen Faschismus werden verharmlost, die sozialen Verwerfungen in der Bundesrepublik seit ihrem Bestehen ausgeklammert. Die Tatsache, dass sich das Rummelsburger Gelände auf dem Gebiet der ehemaligen DDR befand, wurde zur Verschleierung der Ursachen sozialer Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung im Kapitalismus und zur politischen Dämonisierung der DDR benutzt. Dieses Ergebnis des Runden Tisches für einen Gedenkort Rummelsburg verdeutlicht die Ansichten politisch etablierter Träger des Gedenkortprozesses. Die undifferenzierte Einteilung in „gerechtfertigt“ Kriminelle und „politische Gefangene“ in der DDR ist pauschales schwarz-weiss Denken. Es verdeutlicht, dass gar keine Absicht bestand, sich mit den Ursachen der Verfolgung und Vernichtung so genannter Asozialer, die im Faschismus auf die Spitze getrieben wurde, differenziert zu befassen. Solche Darstellungen unterstützen eine Wiederbelebung von Sündenbocktheorien gegen Arme, Flüchtlinge, people of color bzw. Menschen anderer Religionen. Ihre Geschichtsvorstellungen unterschlagen ebenfalls, dass in der europäischen Bevölkerungspolitik der deutschen Faschisten nicht nur der Tod von 6,5 Millionen europäischen Juden geplant war, sondern bei den Vordenkern der europäischen Vernichtung von Beginn an die „Überbevölkerung“ im Fokus stand. Nach dem die Haltung der Bevölkerung vor und während Aktion T4 getestet wurde, konnte die massenhafte Tötung so genannter Asozialer unverblümt angegangen werden. Am 12. Januar 1942 – etwa eine Woche vor der Wannseekonferenz – „wurde in Berlin auch die Ermordung unerwünschter und ´unproduktiver´ nichtjüdischer Menschen aus dem Reichsgebiet praktisch vorangetrieben. An diesem Tag nahm eine Kommission, der auch Vertreter der Kanzlei des Führers angehörten, im Arbeitshaus Berlin-Rummelsburg eine Art Probeselektion unter den Insassen vor. Die Kommission versuchte, Kriterien zu erarbeiten, nach denen „Asoziale“ ausgesucht werden sollten, um sie später zu töten.“ – schrieb Götz Aly imArtikel „Medizin gegen Unbrauchbare“ schon 1985. Bereits am 21.07.1941 hatte Hitler in einer Unterredung mit dem stellvertretenden Staatschef des Unabhängigen Staates Kroatien darauf hingewiesen, dass es Menschen gebe, „die nicht ins Staatsgefüge einzuordnen seien“, nämlich Verbrecher, asoziale Elemente, die auch nicht durch Erziehung, Belehrung und Gefängnis auf bessere Wege gebracht werden könnten. Gegen sie könne man nur eines tun: „Sie vernichten!“ (Hilgruber (Hg.), Staatsmänner und Diplomaten bei Hitler, Bd. I, Frankfurt a. M., 1967, S. 611)
Angesichts dessen ist die jetzige materielle Gestaltung des Gedenkortes in den ehemaligen Rummels-burger Arbeitshäusern mehr als mager. Sie kann gerade als ein winziger Schritt hin zu einer geschichts-bewußten Ausgestaltung eines Gedenkortes gesehen werden. Eine umfassende Aufarbeitung des Umgangs mit armen Menschen in den Zeitabschnitten zwischen 1879 und 1918, 1919 und 1932, 1933 und 1945 im Kontext europapolitischer Absichten, den Nutzungsformen und – funktionen ab Sommer 1945 sowie in der Bundesrepublik steht aus. Wegen der politischen Bedeutung der Rummelsburger Arbeitshäuser sollte dort Schritt für Schritt ein europäischer Lernort des Erinnerns und Nachdenkens entstehen, in deren Mittelpunkt die Verfolgung so genannter Asozialer im „nationalsozialistischen“ Staat steht. Er ist als Lernort, Forschungs- und Studienort für Schüler_innen und als Begegnungsstätte auszugestalten. Grundlage ist eine mit umfangreichen Finanzen ausgestattete universitäre Forschung zum Thema. Vor dem Hintergrund des Umgangs mit Einkommensarmen in den neoliberalen europäischen Staaten und den damit einhergehenden rechten Entwicklungen ist dies eine historische Verpflichtung.