Aus Fremden müssen Nachbarn werden – Wir trauern um Zygmunt Bauman

12. Januar 2017

Zygmunt Bauman_Andreas Domma_2015Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus besuchte am 6. Mai 2015 der polnische Soziologe und Widerstandskämpfer zusammen mit der Soziologin Aleksandra Jasińska-Kania die Berliner VVN-BdA. Gemeinsam mit einer Gruppe junger polnischer und deutscher Antifaschistinnen und Antifaschisten tauschten wir uns über die Notwendigkeit der Bewahrung der Erinnerung an die Shoah und die Bewahrung der Werte des antifaschistischen Widerstandes aus. Zygmunt Bauman war einer der weltweit anerkanntesten Soziologen.

1939 bei Kriegsausbruch floh der 14-Jährige aus Poznań in die UdSSR. 1944 trat er der in der Sowjetunion formierten 1. Polnischen Armee unter General Zygmunt Berling bei, die aus Sibirien-Deportierten und Flüchtlingen bestand. Er kämpfte u. a. am Pommernwall, wo er mit der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet wurde. Trotz Verwundung bei Kolberg meldete er sich zum 1. Mai freiwillig zum Sturm auf Berlin. Nach dem Krieg wurde seine 4. Jan-Kiliński-Division in den Korps der Inneren Sicherheit (KBW) überführt, wo er als Major diente.

Während der antisemitischen Säuberungen im Zuge des sogenannten Slánský-Prozesses wurde er aus dem Sicherheitsapparat entlassen und begann ein Soziologie-Studium. Baumans soziologische Auseinandersetzung mit dem Holocaust begann relativ spät. Große Bedeutung hatten die Erlebnisse seiner damaligen Ehefrau Janina Bauman, die das Ghetto überlebte. Während ihr Vater als Reserve-Offizier in Katyń ermordet wurde, scheiterten aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ihre Bemühungen, während des Warschauer Aufstandes in die Armia Krajowa (Heimatarmee) aufgenommen zu werden. Als Janina 1986 in London ihre Aufzeichnungen „Winter in the Morning“ [„Als Mädchen im Warschauer Ghetto“] veröffentlichte, strich sie aus dem Buch mehrere Passagen, die den Antisemitismus in Polen betrafen, u. a. die Schilderung ihrer Rückkehr nach Warschau nach mehreren Jahren im Versteck. Auf der Überfahrt wurde sie mit den Worten begrüßt: „Unglaublich! Sie sind noch immer da. Diesen deutschen Pfuschern gelang es doch nicht, alle zu vergasen!“ Diese Erinnerungen und das Bewusstsein, dass in Polen nach der Befreiung mehr als 2000 überlebende Jüdinnen und Juden ermordet wurden, finden sich auch in Baumans Studie „Dialektik der Ordnung“ wieder: „Was zum Vorschein kam, geht nicht nur die Urheber, die Opfer und die Zeugen des Verbrechens etwas an, sondern ist von größter Bedeutung für alle, die heute leben und auch in Zukunft leben wollen.“ Bauman unterstrich, dass der Völkermord keine Unterbrechung im Lebenslauf der Rechtsstaatlichkeit darstellte, sondern der planmäßige Mord an den europäischen Juden im Namen des Rechts und Ordnung geschah.

Er kritisierte den in der osteuropäischen Geschichtspolitik populären Begriff der „Wahrheit“: „Das ist gefährlich, denn selektive Erinnerungen werden als Wahrheit und einzige Wahrheit ausgegeben.“ Ironisch fügte er hinzu: „Eure Arbeit als soldiers of history ist deshalb wichtig. Ihr versucht, Widerstand und Verfolgung gegen das Nazi-Regime vor dem Vergessen zu bewahren. Denn Geschichte ist heute keine Kultur des Lernens mehr, sondern eine des Vergessens.“ Bauman hob hervor, dass er erst spät entdeckte, „[D]ass die Ursprünge des Faschismus in unserer universellen Art zu denken liegen: dem Projekt der Moderne. Eines der gefährlichsten Elemente der Nazi-Ideologie ist die Idee vom ‚unwerten Leben‘. Dieses wurde nicht nur auf Nationen bezogen, nicht nur Juden oder Homosexuelle. Es wurde auch gegenüber ‚reinen‘ Deutschen angewendet, die auf die eine oder andere Weise als defekt erklärt wurden.“ Und er mahnte: „Vergesst nicht, dass ihr mit einem Feind kämpft, der weitaus stärker ist als Faschisten-Gruppen. Es sind nicht nur die Neonazis! Ihre wesentliche Stütze ist weit breiter als sie selbst. Sie nähren sich von unserer Kultur, und unsere Kultur ist in vielerlei Hinsicht sehr unangenehm falsch. Wenn ihr wirklich dieses immer wiederkehrende Phänomen mit seinen Wurzeln vernichten wollt und die Auferstehung der extremen Rechten mit dessen Konzept des ‚unwerten Lebens‘ verhindern wollt, dann müsst ihr auch etwas gegen die Art, wie wir leben, unternehmen. Ihr dürft es nicht als isoliertes Phänomen betrachten, es hat weitreichendere Verästelungen.”

Zu der „Flüchtlingskrise“ befragt, äußerte sich Zygmunt Bauman in einem bemerkenswerten Interview im „Spiegel“ 36/2016: „Angst, Hass, Ressentiment und Ausgrenzung setzen eine sich selbst erfüllende Prophezeiung in Gang. Inklusion und Integration sind die stärksten Waffen des Westens. Es gibt keinen anderen Ausweg aus der Krise, in der die Menschheit sich befindet, als Solidarität. Die Entfremdung, die Barriere zwischen uns und den Fremden, den Etablierten und den Außenseitern, muss überwunden werden. Der erste Schritt dazu ist die Aufnahme eines Dialogs. Aus Fremden müssen Nachbarn werden.“

Hans Coppi und Kamil Majchrzak

Berlin, 10. Januar 2017

Antifa-Jour-Fixe Januar 2017

4. Januar 2017

Montag, 16. Januar 2017, 18.30 Uhr ,

Café Sibylle, Karl-Marx-Allee 72 – 10243 Berlin

NS14„Mein Briefwechsel mit Nelly Sachs“

Prof. Dr. Heinrich Fink berichtet über das Leben der jüdischen Dichterin und persönliche Begegnungen mit ihr. Dazu liest Gina Pietsch aus ihrem Werk.

Die Dichterin Nelly Sachs wurde vor 125 Jahren in Berlin geboren und wuchs in ihrem jüdischen Elternhaus auf. Schon als Schülerin wurden ihre Gedichte beachtet.

Der Deportation ins KZ ist sie nur knapp entkommen. Freunde, unter ihnen Selma Lagerlöf, haben sie nach Schweden gerettet. Lebenslang blieb das Schicksal des jüdischen Volkes das Thema ihrer Dichtung.

Heinrich Fink hat sie persönlich kennengelernt und stand mit ihr im Briefwechsel. Er wird über ihre Biographie berichten.

ANTIFA Jour fixe der Berliner VVN-BdA

Immer am 3. Montag des Monat

Immer im Café Sibylle

Immer um 18.30 Uhr.

nonpd – NPD-Verbot muss kommen!

4. Januar 2017

Für den 17. Janua05r 2017 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Urteil für das vom Bundesrat beantragte Verbot der neofaschistischen NPD angekündigt. Als die Bundesländer erneut den Verbotsantrag stellten, nachdem das erste Verfahren wegen formaler Fehler abgewiesen wurde, hatten sie mit vielen guten Gründen auf den verfassungswidrigen Charakter von Programmatik und Praxis der NPD hinweisen können. Auch wenn sich die Bundesregierung und der Bundestag dem Verfahren formell nicht anschlossen, gab es keinen Zweifel, dass diese Partei nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht.

Seit einigen Tagen geistern nun Spekulationen durch die Medien über ein mögliches Urteil, die uns als antifaschistische Organisation alarmieren müssen. „Juristische Experten“ spekulieren angesichts der unterschiedlichen politischen Präsenz der NPD ganz offen über ein regionales Teilverbot der Partei. Sie leiten das aus der inhaltlichen Tendenz der mündlichen Beweisaufnahme ab. Dabei kennt das deutsche Parteiengesetz eine solche Möglichkeit überhaupt nicht. Andere begründen bereits ein negatives Urteil damit, dass europäisches Recht ein Parteienverbot nicht kenne, wobei die NPD doch für sich das deutsche Parteienprivileg in Anspruch nimmt.

Die VVN-BdA, die 2007 die Kampagne „nonpd“ initiiert hat, bei der sich über 175.000 Menschen ein NPD-Verbot eingesetzt haben, ist in Sorge, dass mit diesen medialen Spekulationen ein negatives Urteil des BVerfG publizistisch vorbereitet werden soll.

Wir sagen dazu in aller Klarheit:

  • Wer die antifaschistischen und demokratischen Wurzeln des Grundgesetzes ernst nimmt, kann nur ein Verbot der neofaschistischen NPD aussprechen.
  • Wer der NPD bescheinigt, sie sei Teil des „demokratischen Parteienspektrums“, der legitimiert damit deren Ideologie des Rassismus, Antisemitismus und der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Minderheiten.
  • Wer die NPD legitimiert, der akzeptiert damit auch die zunehmenden gewalttätigen Ausschreitungen gegen Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund, wie wir sie verstärkt in den vergangenen Monaten erleben mussten.

Wir erwarten daher vom Bundesverfassungsgericht ein klares Signal gegen die NPD, das dem Grundgesetz – insbesondere Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – Rechnung trägt.

http://www.vvn-bda.de/nonpd-npd-verbot-muss-kommen/

PM: Fehlt der Wille zur Aufklärung neonazistischer Straftaten?

13. Dezember 2016

Nachschlag! Wir müssen uns wiederholen. (Siehe unten)               

Schon wieder Neonaziterror in Neukölln! Steine auf Leporello Buchhandlung geworfen.

Fehlt der Wille zur Aufklärung neonazistischer Straftaten?

Wir fordern Ermittlungsergebnisse von der Berliner Polizei!

Wie wir soeben erfahren wurden in  der Nacht zu Montag  auch 4 Pflastersteine auf die Schaufensterscheiben der Leporello Buchhandlung in Berlin-Rudow geworfen. Es ist davon auszugehen, dass die Täter aus den gleichen neonazistischen Kreisen stammen, die auch den Brandanschlag auf das Café K-fetisch versuchten.

Die Leporello Buchhandlung ist Teil der Initiative Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus. Erst vor Kurzem führte Heinz Ostermann in seinem Buchladen die Veranstaltung „Was tun gegen die AfD? Aufstehen gegen Rassismus!“ durch.

Unsere gilt Solidarität der Initiative Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus!

Pressemitteilung der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten 13.12.2016                                                                                                                  

Schon wieder Neonaziterror in Neukölln! Versuchter Brandanschlag das linke Café „K-Fetisch“!

Fehlt der Wille zur Aufklärung neonazistischer Straftaten?

Wir fordern Ermittlungsergebnisse von der Berliner Polizei!

In der Nacht zu Montag versuchten Neonazis das das linke Café „ K-Fetisch“ in Berlin Neukölln anzuzünden. Das Café liegt im Erdgeschoss eines Wohnhauses – die Täter nahmen Tote billigend in Kauf. Die seit langem wohlorganisierte Neuköllner Neonaziszene schreitet erneut zur Tat. Nachdem die sogenannten „Freie Kräfte Berlin Neukölln“ im August 2016 erneut eine Feindliste mit Fotos von ihnen unliebsamen Personen, Adressen von Flüchtlingsunterkünften und sich antifaschistisch engagierenden Einrichtungen, Parteien und Projekten auf Facebook veröffentlich hatten, „arbeiten“ die neonazistischen Täter diese Liste unter den Augen der Ermittlungsbehörden jetzt ab. Zuletzt hatte es z.B. das Auto der Geschäftsführerin des Anton- Schmaus-Hauses der Falken getroffen.

Berliner VVN-BdA e.V. erklärt dazu:

Zuallererst gilt unsere ganze Solidarität der Belegschaft des „K-Fetisch und unsere Erleichterung den Bewohner*innen des Hauses. Von der Berliner Polizei fordern wir eine rasche Aufklärung dieses Anschlags und seiner Täter*innen. Dieser Anschlag war vorhersehbar. Die neonazistischen Netzwerke in Neukölln gehören schon immer zu den aktivsten in Berlin. Über Jahre ist hier kein neonazistischer Anschlag aufgeklärt worden.

Wir erinnern auch an den immer noch nicht aufgeklärten rassistischen Mord an Burak Bektaş.

Die Aufklärung von neonazistischen Verbrechen ist auch eine Frage des politischen Willens und der zu Verfügung gestellten Ressourcen.

Wir fordern Aufklärung!

Berliner VVN-BdA e.V.

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