Berliner NSU-Untersuchungsausschuss jetzt! Besser spät als nie!

27. Oktober 2016

Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V [VVN-BdA]  27.10.2016

Berliner NSU-Untersuchungsausschuss jetzt! Besser spät als nie

Wir fordern die Berliner SPD, Linke und Grüne auf, die Einsetzung eines parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschusses in die Koalitionsverhandlungen und in den Koalitionsvertrag aufzunehmen!

SPD, Linke und Grüne haben in der Vergangenheit immer wieder den Innensenat(or) scharf kritisiert und im Innenausschuss erhebliche Mängel und Versäumnisse bei der Aufarbeitung des NSU-Komplexes in Berlin, den Ermittlungen des LKA und der Arbeit des Verfassungsschutzes beklagt.

Es ist doch sehr verwunderlich, dass trotzdem im Berliner Parlament bisher keine Anstrengungen unternommen wurden, einen Untersuchungsausschuss auf Landesebene einzufordern. Wagen Sie jetzt einen Neuanfang und stellen Sie erweiterte Ressourcen in Form eines gut ausgestatteten Untersuchungsausschusses zur Verfügung!

Die rassistischen Morde des„Nationalsozialistischen Untergrunds” (NSU) markieren eine Zäsur in der bundesrepublikanischen Geschichte. Die Taten des NSU, sein Netzwerk und die Rolle der Behörden sind noch lange nicht aufgeklärt.

Nicht erst seit den jüngsten Presseberichten über die vermutete Ausspähung der Synagoge in der Rykestraße, bei der der Wachpolizist Frank G. im Mai 2000 Zschäpe und Mundlos erkannt haben will (er wurde jetzt als Zeuge zum NSU-Prozess nach München geladen), führt die Spur des NSU-Netzwerks auch nach Berlin. Zschäpe hat einen Aufenthalt in Berlin eingestanden. Es gibt Indizien dafür, dass der sächsische Neonazi Jan W. gemeinsam mit Zschäpe und Mundlos nahe der Synagoge in der Rykestraße gewesen sein könnte.

Doch noch am 3. November 2014 veranlassten zwei Bundesanwälte die Vernichtung aller Unterlagen aus dem Besitz von Jan W.; die wegen eines Verfahrens gegen ihn beim LKA Berlin lagerten.   Schon 2011 stellte sich die Berliner Polizei die Frage, ob auch die drei bis heute ungeklärten Sprengstoffanschläge auf den Jüdischen Friedhof Heerstraße in Charlottenburg auf das Konto des Netzwerks gehen. 1998 explodierten am Grab von Heinz Galinski, dem früheren Präsidenten des Zentralrats der Juden, zweimal Rohrbomben, 2002 wurde ein Sprengsatz in den Eingangsbereich des Friedhofs geworfen. Alle Ermittlungen blieben bis heute ohne jeden Erfolg. Aber in der von Zschäpe angezündeten Wohnung in Zwickau fand sich eine Adressliste, auf der der Jüdische Friedhof Heerstraße in Charlottenburg-Wilmersdorf verzeichnet war.

Andreas Nachama, der frühere Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, sagt jetzt: „Ich halte es für sehr dringlich, da Licht reinzubringen.“ Dem schließen wir uns an!

Kleine Berliner NSU-Chronik:

Der verstorbene V-Mann „Piatto“, der Berliner Neonazi Carsten Szczepanski, später wohnhaft in Königs Wusterhausen, wurde vom Brandenburger VS geführt. Als führender Kopf der „Nationalrevolutionären Zellen“ (NRZ), die in den 90er Jahren in Berlin und Brandenburg aktiv waren, verfügte er über beste Kontakte zur Berliner Neonaziszene (in der er auch aktiv war) und war dem Berliner LKA wohlbekannt.

Das Berliner LKA hat mindestens vier VP („Vertrauenspersonen“), also Neonazi-Spitzel, geführt, die im Kontakt mit dem NSU-Netzwerk standen. Dies führte auch zu den beiden Berliner „V-Mann-Affären“ um Thomas Starke (VP 562, Ex-Freund von Zschäpe) und Nick Greger (VP 598). Außerdem gibt es noch die VP 620 und VP 773, deren Identitäten nach wie vor geheim sind.   Auch der Berliner Verfassungsschutz schredderte nach bundesweitem Vorbild noch 2012 zahlreiche Akten mit wahrscheinlichem NSU-Bezug, handelte es sich doch um Akten über die Neonazi Band „Landser“, die eng mit dem neonazistischen Musiknetzwerk Blood and Honour verbandelt war, dass zum NSU-Unterstützernetzwerk gerechnet werden muss.

Im Januar 2013 exkulpierte der von Innensenator Henkel eingesetzte „unabhängige Fachmann“ und „Sonderermittler“ Oberstaatsanwalt Dirk Feuerberg die Berliner Sicherheitsbehörden und ihren Chef Henkel: Die Anwerbung des NSU- und „Piatto“-Bekannten Thomas S. als V-Mann, die Nichtweitergabe seines Hinweises zum NSU, das Schreddern von Akten mit möglichem NSU-Bezug beim Berliner Verfassungsschutz, Henkels Informationspolitik gegenüber dem Parlament, das sei zwar teils fehlerhaft, schlampig und unsauber gewesen, hätte aber mit Vertuschung oder Behinderung der NSU-Ermittlungen nichts zu tun.

Ende 2013 enttarnte sich VP 589 – Nick Greger – im rechten Compact-Magazin und sorgte im Januar 2014 für einen kurzfristigen Aufreger. Polizeichef Kandt und Innensenator Henkel versuchten, auf 120 Fragen von Grünen und LINKE zum Verhältnis zwischen Greger und dem LKA zu antworten.

Seitdem ist wenig bis nichts aus dem Berliner Abgeordnetenhaus zum Berliner NSU-Komplex zu hören. Auch in Berlin wird die Aufklärung der Taten des NSU-Netzwerks weiterhin größtenteils der Initiative und Arbeit der Opferanwält*innen im Münchener NSU-Prozess überlassen.

Wir finden, dass muss sich ändern.